Im Leben wirken immer sich ausgleichende Kräfte.
Es gibt kein Yin ohne Yang und umgekehrt.
Immer ist das Leben ein Kreislauf, stets bestrebt den Kreis zu schließen.
Zumindest waren dies meine ersten Gedanken, als letzte Woche dieses kleine Püppchen auf meinem Werkstatttisch landete…
Beim Puppendoktor
Erst kürzlich hatte ich ja den Auftrag bekommen, eine Wunschpuppe ohne Gesicht zu nähen… und nun hatte ich doch tatsächlich genau das Gegenteil davon auf dem Tisch:
Eine Puppe ohne Gesicht, die nun nachträglich ein Gesicht bekommen sollte!
Dieses 30 cm kleine Püppchen kam also als Patient in meine „Puppenklinik“:
Es war ursprünglich ein Geschenk zur Geburt eines kleinen Jungen, wurde aber nie so recht bespielt und hat seither eher unbeachtet im Kinderzimmer gesessen…
Diese, gerade in ihrer Schlichtheit ganz allerliebst anmutende, Waldorf Puppe war für ganz kleine Kinder gedachte, ist somit ganz weich gefüllt und hat klassischerweise auch keine Augen oder Mund. Eigentlich brauchen Kinder diese Merkmale ja auch nicht unbedingt für ein phantasievolles Spiel – im Gegenteil.
Jedoch ist jedes Kind anders und manche brauchen vielleicht genau doch diesen Aufforderungscharakter, den ein Gesichtchen besitzen kann, um so einen Bezug zu ihr herzustellen und mit der Puppe ins Spiel zu finden.
Nun ist besagter kleiner Junge inzwischen großer Bruder geworden. Und die Mama wünschte sich genau dieses Püppchen auch als Puppe für seine kleine Schwester. Allerdings sollte das Püppchen nun nachträglich doch noch ein Gesicht bekommen.
Nach einer kurzen Anamnese konnte ich den kleinen Patienten, dann Anfang der Woche auch schon stationär aufnehmen. ;)
Aufarbeitung Waldorf Puppe
Da ich meinen Puppen ihre Gesichter aufsticke, musste ich im Vorfeld ein wenig aufwendiger vorgehen: Ich konnte das Gesicht nicht einfach aufmalen, sondern die Haare müssten erst entfernt werden, um die Sticknähte darunter zu verstecken.
Daher habe ich zunächst den späteren Sitz von Augen und Mund mit Stecknadeln markiert und dann, ganz vorsichtig, die gehäkelte Puppenhaarperücke aus brauner Mohairwolle, vom Kopf gelöst.
In dem Moment, wenn man solche Arbeiten an einer Puppe vornimmt, die man nicht selbst genäht hat, hält man als Puppenmacherin stets kurz den Atem an – man weiss schließlich nie, was einen darunter erwartet… ;)
Diesmal hatte ich Glück – die Haare und der Kopf darunter waren in gutem Zustand… und es gelang mir die Haare unversehrt vom Kopf zu lösen. Die Perücke würde nämlich später wieder auf den Kopf festgenäht werden.
Zunächst zog ich dann also mit rotem Stickgarn den Mund ein.
Und schließlich stickte ich noch zwei kleine braune Augen auf – Und schon schaute mir da ein liebes Puppenwesen lächelnd entgegen.
Dann musste ich nur noch die Perücke wieder fest an den Kopf annähen… Dabei noch ein wenig die Haare ausbürsten …und schon kam der Wuschelkopf so richtig zur Geltung. (Man konnte nun sogar zwei kleine Zöpfchen frisieren!)
Dann noch etwas Wangenrot zum Auffrischen aufgetragen und mein kleiner Patient war wieder wie neu…
Ergebnis Aufarbeitung
Damit war eigentlich mein Auftrag auch schon abgeschlossen… oder?
Aber ich war noch nicht so recht zufrieden… Denn nun passte der Kopf irgendwie nicht mehr recht zum Körper? Die Zöpfchen und das liebe Gesicht verlangten nun nach etwas …hmm… mehr…?!
Da fiel es mir auf: Die Kleidung wollte nicht so recht harmonieren mit der neuen Frisur –
Abhilfe schaffen sollte also nun noch ein rosa Kleidchen…
… und ein kleiner Strickschal
…und darunter noch eine passende rosa Nickihose zum Überziehen. ;)
…Somit war die Puppe des großen Bruders also nun wirklich zu einer richtigen „Mädchenpuppe“ für die kleine Schwester geworden.
Trotzdem konnte das Püppchen sich jederzeit, nämlich sobald man die rosa Kleidung auszog und die Zöpfe öffnete, wieder in die ursprüngliche Jungspuppe (nur eben nun mit Gesicht) zurück verwandeln…
So konnte also der kleine Patient also schließlich als „geheilt“ wieder aus der Puppenklinik entlassen werden und freut sich schon auf viele mit Spiel gefüllte Stunden zusammen mit der neuen kleinen Puppenmama.
So gerne ich solche spannenden Aufgaben haben, war ich doch froh, dass die Operation „Aufarbeitung Waldorf Puppe“ geglückt war und alle Beteiligten nun zufrieden sind
und ich den kleinen Patienten guten Gewissens aus der Puppenklinik wieder entlassen konnte…
Aber da, wie eingangs bereits erwähnt, immer die augleichenden Kräfte am Werk sind, sollte doch tatsächlich nur wenig später noch ein weiterer Puppen-Patient einen Platz hier in meinem Puppenhospital benötigen…
Aber davon dann ein anderes Mal mehr.
;)
